Feinstaub Kriminalität

„Höhere Feinstaubbelastung führt zu mehr Straftaten“

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Die Luftverschmutzung und der Klimawandel sind die brisantesten Umweltthemen des 21. Jahrhunderts. Dies hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Umwelt selbst, sondern auch auf den Menschen zur Folge. So kann beispielsweise eine dauerhaft hohe Feinstaubbelastung nicht nur zu Erkrankungen der unteren Atemwege und des Herz-Kreislaufsystems führen, sondern auch zu einer verminderten Gehirnleistung. Wie neueste Erkenntnisse der Forschung zeigen, wirkt sich eine hohe Feinstaubbelastung nicht nur negativ auf die Gesundheit im Allgemeinen, sondern auch auf das Verhalten von Menschen aus. So haben Wissenschaftler des Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in einer Studie herausgefunden, dass eine erhöhte Feinstaubbelastung zu mehr Straftaten führen kann.

Zusammenhang von Feinstaubbelastung und Kriminalität in Deutschland

Yasemin Karamik und Kathrine von Graevenitz mit Studienergebnissen

Ob die Kriminalitätsrate im Zusammenhang mit einer erhöhten Luftverschmutzung steigt und ob es sich dabei um einen kausalen Zusammenhang oder eine bloße Korrelation handelt, untersuchte ein Forscherteam des LZE rund um Yasemin Karamik und Kathrine von Graevenitz in den Jahren 2015 bis 2017.

Für die Studie standen dem Forscherteam mehrere Datensätze aus verschiedenen Regionen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zur Verfügung. Die Datensätze bezogen sich auf Informationen zum Wetter (insbesondere auf den Wind), die täglich mehrmals gemessene Luftverschmutzung, sowie die verübten Straftaten in diesen Regionen. Zu den Straftaten zählten Sachbeschädigung, Raub, Sexualdelikte, Gewalt gegen Personen, Diebstähle und Einbrüche.

Die Daten zum Wind erhielten die Forscher vom Deutschen Wetterdienst, die Daten zur Feinstaubbelastung vom Umweltbundesamt und die Daten zur Kriminalität von den Landeskriminalämtern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Nach dem Umweltbundesamt lag in der untersuchten Region die durchschnittliche Feinstaubbelastung bei 15,69 Mikrogramm pro Kubikmeter (PM10). Die durchschnittliche Kriminalitätsrate lag laut den Landeskriminalämtern Baden-Württemberg sowie Rheinland-Pfalz bei 8,76 je 100 000 EinwohnerInnen.

Kurzer Exkurs: Was sind PM10 Schadstoffpartikel?
Laut dem Umweltbundesamt werden mit PM10 Schadstoffpartikel bezeichnet, die einen aerodynamischen Durchmesser von weniger als zehn Mikrometer besitzen. Partikel dieser Größe werden auch als Feinstaub bezeichnet, sind mit bloßem Auge nicht erkennbar und sinken nur langsam zu Boden, weshalb sie lange in der Atmosphäre verweilen. PM10 entsteht einerseits durch natürliche Emissionen wie z.B. Vulkanausbrüche oder Waldbrände, aber vor allem durch anthropogene Ursachen wie Straßenverkehr, Kraft- und Fernheizwerke oder Abfallverbrennungsanlagen.

Um auf ein möglichst exaktes Ergebnis zu kommen wurden andere mögliche Einflussfaktoren ebenfalls berücksichtigt, aber für den Studienaufbau entsprechend herausgerechnet. So nutzte das Forscherteam die Variation in der Luftverschmutzung, die durch unterschiedliche Windrichtungen entstehen, um den Effekt von Luftverschmutzung auf Kriminalität von anderen Faktoren zu unterscheiden (wie z.B. Armut oder Arbeitslosigkeit).

Das Ergebnis der Studie: Nimmt die Feinstaubbelastung um zehn Mikrogramm PM10 pro Kubikmeter zu, so steigt die Anzahl der Straftaten in der untersuchten Region um 4,6 Prozent. Somit ist laut Yasemin Karamik der Einfluss der Luftverschmutzung auf die Kriminalität sogar nachweisbar, wenn die PM10 Konzentration deutlich unter den in der Europäischen Union geltenden Grenzen von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter liegt.

Feinstaub und dessen Zusammenhang mit erhöhter Kriminalität

Die Ergebnisse der Mannheimer Studie werden auch durch eine Studie aus London unterstrichen, welche zu ähnlichen Ergebnissen kommt.

Die Forscher Bondy, Roth und Sager (2020) stellten in London für den Zeitraum von 2004 bis 2005 eine Kriminalitätsrate von durchschnittlich 34 pro 100.000 Einwohner bei einem PM10-Wert von 28 µg/m3 fest. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, analysierte das Forscherteam rund 1,8 Millionen Straftaten und verglichen diese mit Daten zur Veränderung der Luftqualität in den einzelnen Stadtbezirken.

Für die Gesamtkriminalität ergibt sich in London ein Anstieg um 0,9 Prozent, wenn sich der Luftqualitätsindex um zehn Punkte erhöht. Somit ist in London an Tagen mit besonders hoher Luftverschmutzung die Kriminalitätsrate um 8,4 Prozent höher als an Tagen mit niedriger Luftverschmutzung. Bereits leicht erhöhte Luftverschmutzung mit einem Luftqualitätsindex von über 35, wie sie in London durchschnittlich an jedem vierten Tag auftritt, führt zu ungefähr 2,8 Prozent mehr Straftaten. Bondy, Roth und Sager konnten ebenso feststellen, dass bei verstärkter Luftverschmutzung vor allem kleine Strafdelikte wie Laden- oder Taschendiebstahl zunehmen, während sich für Tötungsdelikte oder andere schwere Straftaten kein signifikanter Effekt nachweisen lies.

Gründe für Anstieg der Kriminalrate bei erhöhter Feinstaubbelastung

Vor allem die Forschung in Medizin, Biologie und Psychologie setzte sich in den vergangenen Jahren vermehrt damit auseinander, wie die Luftverschmutzung die menschliche Psyche und damit Verbrechen beeinflussen kann.

Ein medizinischer Erklärungsansatz liegt in der durch Feinstaub verursachten hormonellen Veränderung des Gehirns. Feinstaub verändert nachweislich das Hormonlevel des Gehirns, was eine Verhaltensänderungen nach sich zieht. Laut dem Forscherteam der London School of Economics, die ebenso wie das Forscherteam aus Mannheim den Einfluss erhöhter Feinstaubbelastung auf die Kriminalitätsrate untersuchten, steigt mit einer erhöhten Feinstaubbelastung die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Gehirn an. Eine solch hohe Cortisolkonzentration im Gehirn kann eine Veränderung des Verhaltens und damit eine erhöhte Kriminalität zur Folge haben.

Das Menschen, die häufiger schlechter Luft ausgesetzt sind, ängstlicher und depressiver sind, zeigen aktuelle Untersuchung der Columbia University rund um das Team des Globalisierungsforschers Doktor Jackson Lu. Das Forscherteam wertete zunächst Daten zur Luftverschmutzung und Kriminalität aus 9.360 US-Städten über einen Zeitraum von neun Jahren aus. Auch hier zeigte sich, dass in Städten mit einer hohen Kriminalitätsrate auch die Luftverschmutzung höher war.

Auch psychologische Experimente unterstützen die Forschungsergebnisse

Im Anschluss führte das Forscherteam selbst Experimente mit Probanden durch, welche ihre These unterstrichen. In einem Experiment sahen alle Probanden dieselben Plätze in Peking – die einen bei klarer Luft, die anderen durch Smog vernebelt. Im Anschluss sollten die Probanden einen Aufsatz darüber verfassen, wie es für sie wäre, dort zu leben. Die Aufsätze wurden daraufhin von Psychologen analysiert. Das Ergebnis: die Teilnehmer an dem Platz mit schlechter Luft agierten ängstlicher als diejenigen, die sich einen Platz mit sauberer Luft vorstellten. Und das wirkt sich auch auf die Kriminalität aus: denn Angst kann zu kriminellen Verhaltensänderungen führen.

Verringerung der Luftverschmutzung: nicht nur positiv für Gesundheit und Umwelt

Die Schlussfolgerung, welche das Forscherteam aus ihrer Studie ziehen: eine weitere Verringerung der Luftverschmutzung hat nicht nur durchaus positive Effekte auf die Gesundheit der Bevölkerung und auf die Umwelt, sondern führt auch zu weniger Kriminalität.

Somit werden sowohl wenig, als auch stärker besiedelte Landstriche durch eine Verringerung der Feinstaubbelastung nachweislich als sicherer eingestuft.

Literaturangaben:
• ZWE Pressearchiv: Höhere Feinstaubbelastung führt zu mehr Straftaten, in: ZEW-Pressemitteilung: Höhere Feinstaubbelastung führt zu mehr Straftaten (30.05.2022).
• Karamik, Yasemin/ Von Graevenitz, Kathrine: Discussion Paper. Gone With the Wind: The Effect of Air Pollution on Crime – Evidence From Germany, May 12, 2022.
• Spanhel, Hanna: Auswirkungen der Feinstaubbelastung. Kann schlechte Luft kriminell machen?, in: Auswirkungen der Feinstaubbelastung: Kann schlechte Luft kriminell machen? – Baden-Württemberg – Stuttgarter Nachrichten (stuttgarter-nachrichten.de) (13.05.2022).
• IZA Newsroom: Luftverschmutzung steigert die Kriminalitätsrate, in: Luftverschmutzung steigert die Kriminalitätsrate (iza.org) (26.04.2018).
• Haase, Julia: Schlechte Luft macht uns offenbar aggro, asozial und kriminell, in: Luft: Diese Folgen hat Luftverschmutzung auf deine Psyche – WELT (01.03.2018).